Im Herzen der
Berufslehre
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Der Alltag

Anders als eine vollschulische Ausbildung unterliegt die duale berufliche Grundbildung gewissen Einschränkungen, die durch den Tätigkeitsbereich und den Lehrbetrieb vorgegeben werden. Die Ausbildung erfolgt neben der Arbeit und mitten im Berufsalltag. So kann es vorkommen, dass die produktive Arbeit Vorrang vor der Ausbildung der Lernenden hat. Die grösste Herausforderung in der beruflichen Grundbildung stellt also die Zeit dar. Oft reicht die Zeit einfach nicht aus, um produktive Arbeit und Ausbildung unter einen Hut zu bringen.

Lernender und Berufsbildner, © HotellerieSuisse
Lernender und Berufsbildner, © HotellerieSuisse

Lernen im Betrieb

Das Besondere an der Lehre ist, dass die Vermittlung von Wissen an verschiedenen Lernorten erfolgt: im Lehrbetrieb, in der Berufsfachschule und in den überbetrieblichen Kursen. Für die Lernenden gilt es, das Wissen, das sie an den verschiedenen Lernorten erlangen, miteinander zu verknüpfen. In der Berufsfachschule und in den überbetrieblichen Kursen werden die Lernenden im Schulzimmer oder in Werkstätten ausgebildet. Im Lehrbetrieb, wo die berufliche Praxis vermittelt wird, gestaltet sich die Ausbildung meistens so, dass die Lernenden sich an der produktiven Tätigkeit des Betriebs beteiligen und so direkt in den Lehrberuf eintauchen.

Die Berufsbildner/innen im Betrieb, die die Lernenden in ihrem Arbeitsalltag begleiten, spielen bei der Vermittlung des Berufs eine zentrale Rolle. Doch auch andere Mitarbeitende sind an der Ausbildung beteiligt. So werden die Lernenden etwa häufig von verschiedenen Mitgliedern eines Teams betreut. In einigen Lehrbetrieben werden die Lernenden schrittweise ausgebildet, das heisst, sie werden zu Beginn stärker betreut und können im Verlauf der Ausbildung immer selbständiger arbeiten. In anderen Lehrbetrieben wiederum werden die Lernenden schneller «ins kalte Wasser geworfen».

Die Berufsbildner/innen übermitteln den Lernenden nicht nur praktische Kompetenzen, sondern auch Allgemeinwissen und Verhaltensweisen. Dabei betonen sie oft, dass die verschiedenen Wissenstypen unterschiedlichen Sphären angehören: dem Beruf, den die Lernenden gerade erlernen, der Arbeits- und Geschäftswelt und, allgemeiner gesagt, dem gesellschaftlichen Leben, insbesondere dem Übertritt von der Kindheit ins Erwachsenenleben. Besonderes Augenmerk gilt, wie bereits bei der Anstellung, den übergreifenden Kompetenzen. Diese umfassen Haltungen (Respekt, Höflichkeit), Beziehungswissen (Teamarbeit, Interaktion mit Kunden, Patientinnen usw.) sowie die Arbeitseinstellung (Respekt gegenüber der Arbeit, Pünktlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Selbständigkeit).

Zwei Ziele: produzieren und ausbilden

Zu den grössten Herausforderungen der dualen Berufsbildung gehört, dass die Ausbildung in einem laufenden Betrieb erfolgt. Das hat den Vorteil, dass die Ausbildung praxisnah und auf die Anforderungen des Berufs ausgerichtet ist. Allerdings lässt sich die Ausbildung von Lernenden nicht immer so gut mit den Rentabilitäts- und Produktivitätsanforderungen des Betriebs vereinbaren.

Im Arbeitsalltag müssen sowohl Lernende als auch Berufsbildner/innen in erster Linie produktiv tätig sein, obwohl sie  eigentlich fürs Lernen und Ausbilden angestellt wurden. Da gilt es, Teile und Objekte zu fertigen, sich in einer Betreuungseinrichtung um Kinder oder Patienten/innen zu kümmern, administrative Arbeiten zu erledigen oder die Kundschaft zu bedienen. Die produktive Tätigkeit hat immer Priorität.

Diese Doppelrolle der Lehrbetriebe (produktiv arbeiten und ausbilden) schafft ein Spannungsfeld, das in kleinen und mittleren Betrieben, die in der Schweiz am meisten Lernende ausbilden, besonders ausgeprägt ist. Auch Grossunternehmen bewegen sich in diesem Spannungsfeld, doch sie haben häufiger Personal, das sich hauptsächlich um die Ausbildung der Lernenden kümmert. Auch in Bildungszentren, die grossen Betrieben angegliedert sind, ist dieser Druck spürbar, denn die Produktivitätsziele gelten auch für diese Ausbildungsstrukturen.

Das Spannungsfeld ausbilden/produktiv arbeiten hat auch Auswirkungen auf die Lernenden und die Berufsbildner/innen. Die Lernenden, die in erster Linie lernen sollen, müssen produktiv arbeiten, sie sind produktiv tätige Arbeitskräfte und Lernende zugleich. Und die Berufsbildner/innen, als Fachpersonen angestellt, müssen sich neben der produktiven Arbeit trotzdem noch Zeit für das Ausbilden nehmen. Diese Doppelrolle ist für die Lernenden und die Berufsbildner/innen nicht immer einfach, sie kann aber auch befriedigend sein: Die Jugendlichen sind zufrieden, weil sie fast schon wie eine richtige Fachperson arbeiten können, und die Berufsbildner/innen weil sie ihre Leidenschaft vermitteln können und gleichzeitig manchmal fast als Lehrpersonen tätig sind.

Eine Frage der Zeit

Der Alltag von Berufsbildenden und von Lernenden ist geprägt vom Spannungsfeld zwischen Ausbildung und produktiver Arbeit. Dieses Spannungsfeld wirkt sich auch auf die verfügbare Ausbildungszeit aus.

Die Berufsbildner/innen müssen produktiv sein und zugleich ausbilden; oft bekleiden sie eine höhere Funktion im Betrieb (Geschäftsinhaber/in, Geschäftsführer/in, Teamleiter/in). Häufig haben sie für die Ausbildung der Lernenden zu wenig Zeit. Überdies müssen sie ständig zwischen verschiedenen Tätigkeiten hin und her wechseln, von der Betreuung von Lernenden hin zu anderen Arbeiten. Ihre Tätigkeit ist von ständigen Unterbrüchen gekennzeichnet. Oft müssen sie innerhalb von kürzester Zeit gleichzeitig auf verschiedenste Anforderungen reagieren (z. B. einen Lernenden ausbilden und gleichzeitig für Kundenanliegen zur Verfügung stehen). Der Zeitmangel macht auch vor Berufsbildnern und Berufsbilderinnen Ausbildungszentren, die einem Betrieb angegliedert sind, nicht Halt. Manchmal werden diese Ausbildungszentren eher wie Niederlassungen des Unternehmens behandelt als wie Ausbildungszentren, die sich hauptsächlich um die Berufsbildung kümmern sollten. Das heisst, dass sie ebenso Produktivitäts- und Rentabilitätsziele erfüllen müssen wie die übrigen Unternehmenseinheiten.

Berufsbildner/innen beklagen aber nicht nur die ständigen Unterbrüche und den Zeitmangel, sondern auch die Tatsache, dass die Ausbildungstätigkeit selten formalisiert ist. Für die Ausbildung werden sie zeitlich kaum entlastet und meistens müssen sie selbst Wege finden, um ihrer Funktion gerecht zu werden. So binden Berufsbildende die Lernenden in die produktive Arbeit ein, übertragen ihnen Arbeiten, die sie allein erledigen können, oder delegieren die Betreuung der Lernenden auch mal an Kolleginnen und Kollegen. Einige Berufsbildende opfern sogar ihre Freizeit, um die Fragen ihrer Lernenden zu beantworten, ihnen etwas zu erklären, ihnen gewisse Handgriffe zu zeigen oder sie anderweitig zu begleiten.

Auch die Lernenden sind gefordert, sie müssen sich schnell an den Rhythmus und die Tätigkeit ihrer Berufsbildnerin oder ihres Berufsbildners anpassen und sich daran gewöhnen, dass die Betreuungsarbeit auf verschiedene Personen aufgeteilt ist. Sie müssen also relativ schnell selbständig arbeiten können.

Die Schwierigkeiten