Im Herzen der
Berufslehre
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Die Schwierigkeiten

Wie jede andere Ausbildung ist auch die Berufslehre kein Strom, der ruhig und gemächlich vor sich hinfliesst. Zu jedem Zeitpunkt der Ausbildung können Probleme auftauchen. Diese Probleme können bereits bei der Lehrstellensuche auftreten, denn einige Jugendliche müssen lange suchen und nicht alle finden letztlich eine Anstellung. Auch im Verlauf der Lehre kann es Schwierigkeiten geben – mit dem Beruf, dem Lehrbetrieb, der Ausbildung oder auch zwischenmenschliche Probleme am Arbeitsplatz. Das kann dazu führen, dass Jugendliche ihre Lehre abbrechen. Und dann kommt es auch vor, dass Lernende an der Abschlussprüfung scheitern oder nach abgeschlossener Ausbildung keine Stelle finden.

Kurs für Lehrer der gewerblichen Fortbildungsschulen in Bern, 1911. © Studler R. (1912), Die Berufsbildung in Gewerbe, Handel und Verwaltung des Kantons Bern. Rösch&Schatzman. Bern
Kurs für Lehrer der gewerblichen Fortbildungsschulen in Bern, 1911. © Studler R. (1912), Die Berufsbildung in Gewerbe, Handel und Verwaltung des Kantons Bern. Rösch&Schatzman. Bern

Ein komplexer Übergang von der Schule in die Arbeitswelt

Der Übergang von der obligatorischen Schule in eine nachobligatorische Ausbildung der Sekundarstufe II erfolgt nicht bei allen Jugendlichen direkt und nahtlos nach dem Schulaustritt. Einige Jugendliche brauchen für den Einstieg in eine berufliche Grundbildung etwas länger. Für diejenigen, die sich für eine dreijährige EFZ- oder eine zweijährige EBA-Ausbildung entscheiden, dauert der Übergang länger als für diejenigen, die eine allgemeinbildende Schule (Fachmittelschule, Gymnasium) besuchen. Etwa ein Viertel der künftigen EFZ-Lernenden und die Hälfte der künftigen EBA-Lernenden durchgehen eine Transitionsphase. In den meisten Fällen gilt es, ein Jahr zu überbrücken, manchmal aber auch zwei. Auch nach zwei Jahren schaffen fünf Prozent der Jugendlichen den Einstieg in eine nachobligatorische Ausbildung der Sekundarstufe II noch nicht. Einige von ihnen laufen Gefahr, dauerhaft aus dem Bildungssystem herauszufallen. Die Wartezeit überbrücken die meisten Jugendlichen mit einem Brückenangebot (Bildungsangebote, die den Einstieg in eine Ausbildung der Sekundarstufe II erleichtern sollen, wenn der Übertritt nicht direkt nach der obligatorischen Schule erfolgt) oder mit einem von der Arbeitslosenversicherung finanzierten Motivationssemester.

Verschiedene Faktoren haben Einfluss auf den Übergang. Unter den fünf Prozent der Jugendlichen, die auch zwei Jahre nach dem Schulaustritt den Übertritt in eine nachobligatorische Ausbildung nicht geschafft haben, befinden sich vorwiegend Jugendliche, die einen Schultyp mit Grundanforderungen oder eine Sonderschulung besucht haben, Frauen, Ausländer/innen die im Ausland geboren sind, Personen, deren Eltern keine nachobligatorische Ausbildung abgeschlossen haben, sowie Jugendliche aus der Westschweiz oder solche die in der Stadt leben. Der besuchte Schultyp (Sekundarstufe I), das Geschlecht, ein Migrationsstatus, die soziale Herkunft, die Wohnregion und der Wohnort (Stadt oder Land) haben also wesentlichen Einfluss auf den gewählten Bildungsweg, auf die Dauer des Übergangs und auf das Risiko eines Ausbildungsabbruchs.

Es gibt jedoch weitere Faktoren, die beim Übergang in die berufliche Grundbildung eine Rolle spielen. So hängt etwa die Zahl der Lehrstellen, die die Lehrbetriebe anbieten, auch von der wirtschaftlichen Lage und den Arbeitsmarktperspektiven ab. Und nicht zuletzt entscheiden auch die Rekrutierungskriterien der Lehrbetriebe oder das Beziehungsnetzwerk der Jugendlichen über Erfolg oder Misserfolg bei der Lehrstellensuche.

Wenn’s einfach nicht passt

Eine Lehrstelle zu finden kann für manche Jugendliche ein sehr langer und schwieriger Prozess sein. Gleichzeitig haben Branchen mit einem schlechten Ruf oder schwierigen Arbeitsbedingungen mitunter Mühe, Lernende zu finden.

Die Auswahl von künftigen Lernenden ist für die Lehrbetriebe eine heikle Angelegenheit. Einige Jugendliche schreiben Dutzende von Bewerbungen, ohne dass ihre Bemühungen mit einer Lehrstelle oder einem Vorstellungsgespräch belohnt werden. Das Auswahlverfahren gestaltet sich in jedem Betrieb anders, die Auswahlkriterien sind aber oft dieselben: Anforderungsniveau in der Sekundarstufe I, schulische Leistungen, Ergebnisse von Eignungstests wie Multicheck©, Bewertung des Praktikums und des Vorstellungsgesprächs. Dazu gesellen sich weitere Kriterien wie die Art und Weise, wie sich jemand präsentiert, wie jemand spricht und wie jemand seine Motivation zum Ausdruck bringt.

Diese Kriterien führen dazu, dass einzelne Personen benachteiligt werden und keine Lehrstelle finden aufgrund ihrer sozialen oder nationalen Herkunft, ihres Geschlechts, manchmal aufgrund ihres Aussehens (gewisse Modeerscheinungen werden in bestimmten Branchen nicht gerne gesehen) oder einer Einstellung, die als ungeeignet beurteilt wird.. Mädchen, die sich für einen männerdominierten Beruf entscheiden, haben noch mehr Schwierigkeiten eine Anstellung zu bekommen.

Die Betriebe geben an, ihr Risiko (oder das, was sie als Risiko empfinden) beschränken zu wollen, indem sie keine «Pionierinnen» einstellen, was zu Diskriminierung führt. Die Lehrstellensuche erschweren können auch bestimmte Krankheiten oder Allergien. Wer etwa Probleme mit dem Stehen hat, kann keine Ausbildung im Verkauf oder im Gastgewerbe machen, da es sich um Tätigkeiten handelt, die vorwiegend im Stehen ausgeübt werden. Und wer an einer Glutenallergie leidet, wird nicht in einer Bäckerei arbeiten können. In einzelnen Fällen sind aber auch Anpassungen möglich, damit der Wunschberuf trotzdem erlernt werden kann. Manchmal gestaltet sich auch einfach die Suche nach einer Lehrstelle im Traumberuf schwierig. In manchen Berufen gibt es weniger Lehrstellen als Bewerberinnen und Bewerber, in anderen Berufen dagegen gibt es genügend Lehrstellen, aber nicht genügend Jugendliche, die sich dafür interessieren. Es kann aber auch sein, dass die schulischen Leistungen für den Wunschberuf nicht ausreichen. Klar fällt es da nicht leicht, sich im Vorstellungsgespräch motiviert zu zeigen, wenn es sich nicht um den Wunschberuf handelt.

Lehrvertragsauflösungen

Der Begriff «Lehrabbruch» oder «Lehrvertragsauflösung» wird verwendet, wenn ein Lehrvertrag aufgelöst wird, also auch bei einem Wechsel in eine andere Ausbildung, einen anderen Beruf oder einen anderen Lehrbetrieb. Es muss sich also nicht zwingend um einen Bruch mit dem Bildungssystem handeln.

Aus juristischer Sicht ist es Arbeitgebern und Lernenden möglich, den Lehrvertrag sowohl in der dreimonatigen Probezeit als auch danach aufzulösen. Der Lehrvertrag kann in gegenseitigem Einverständnis aufgelöst werden. Wenn wichtige Gründe vorliegen, ist auch eine einseitige Vertragsauflösung möglich. Nach der Auflösung des Lehrvertrags können die Lernenden die Berufsfachschule noch drei Monate weiter besuchen.

Durchschnittlich 22 Prozent der Lehrverträge werden vor dem Ausbildungsende aufgelöst, die meisten im ersten Lehrjahr. Allerdings gibt es deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Berufen. So liegt etwa bei den Geomatikerinnen und Geomatikern die Abbruchquote bei lediglich 4,6 Prozent, bei den Boden-Parkettlegerinnen und -legern dagegen bei 42,4 Prozent. Auch regional gibt es grosse Unterschiede. So werden in den französischsprachigen Kantonen und im Tessin etwa 30 Prozent der Lehrverträge vorzeitig aufgelöst, in der Deutschschweiz liegt die Quote zwischen 16 und 23 Prozent. Unter den Lehrabbrecherinnen und Lehrabbrechern befinden sich vorwiegend männliche Lernende, Lernende mit Migrationshintergrund sowie junge Frauen, die eine Lehre in einem männlich dominierten Beruf begonnen haben.

Als Gründe für einen Lehrabbruch geben Jugendliche hauptsächlich Beziehungsprobleme am Arbeitsplatz, die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen, die Berufswahl, die bereits in sehr jungem Alter erfolgt, und mangelndes Wissen über den Beruf an. Fragt man Berufsbildner/innen nach den Gründen für einen Lehrabbruch, werden am häufigsten nicht zufriedenstellende Leistungen in der Berufsfachschule, fehlende Motivation und falsche Berufswahl genannt.

Nicht immer wird der Lehrabbruch als Misserfolg wahrgenommen. Es gibt sogar Fälle, in denen die Jugendlichen sich nach einem Lehrabbruch erleichtert fühlen. Trotzdem hat ein Lehrabbruch häufig Auswirkungen auf die (körperliche und psychische) Gesundheit. Der Grossteil der Lehrabbrecherinnen und Lehrabbrecher tritt zwar in der Folge eine neue Ausbildung an, doch die Lehrstellensuche kann sich dahinziehen und eine Lehrvertragsauflösung birgt immer die Gefahr, dass jemand aus dem Bildungssystem herausfällt und nie einen Abschluss erlangt.

Lehre abgeschlossen, und jetzt?

Die Ausbildung endet nicht immer mit dem Erwerb des angestrebten Abschlusses. Fast acht Prozent der Jugendlichen bestehen die Abschlussprüfung nicht im ersten Anlauf. Und jene, die ihren Abschluss in der Tasche haben, müssen die erste richtige Stelle finden. Und das kann eine Weile dauern.

An der Abschlussprüfung können die Lernenden im theoretischen Teil scheitern (ungenügende Noten in den berufskundlichen und den allgemeinbildenden Fächern), der hauptsächlich in der Berufsfachschule vermittelt wird. Misserfolge kommen auch in der praktischen Prüfung vor und sind oft auf schlechte Ausbildungsbedingungen im Lehrbetrieb zurückzuführen. So kann es etwa vorkommen, dass Lehrbetriebe keinen guten Rahmen für die Ausbildung bieten, etwa weil die Berufsbildner/innen keine Zeit für die Ausbildung haben, die Infrastruktur, Ausrüstung oder Einrichtung im Lehrbetrieb veraltet ist oder ein Unternehmen sich so stark spezialisiert hat, dass die Lernenden kein umfassendes Bild des Berufs erhalten und nicht alle beruflichen Grundlagen erlangen konnten. Die Gründe für einen Misserfolg an der Abschlussprüfung sind sehr ähnlich wie die Gründe für einen Lehrabbruch. Dazu gehören fehlende Motivation, schlechte Leistungen oder schlechte Ausbildungsbedingungen. Besonders ausgeprägt können diese Probleme dann sein, wenn Lernende einen Lehrberuf ergriffen haben, den sie eigentlich gar nicht erlernen wollten.

Wer den Abschluss in der Tasche hat, muss sich auf die Suche nach der ersten richtigen Stelle machen. Das ist nicht immer einfach. 45 Prozent der Lehrabgängerinnen und -abgänger bleiben nach der Ausbildung im Lehrbetrieb und bekommen dort ihren ersten Arbeitsvertrag. Die restlichen 55 Prozent müssen eine Stelle suchen. Dabei müssen sie sich auf einem hart umkämpften Arbeitsmarkt behaupten und machen mitunter nochmals die gleichen Erfahrungen wie bei der Lehrstellensuche. Im Schnitt brauchen Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger zwei Monate, bis sie ihre erste Stelle finden. Die Wartezeit überbrücken die einen mit Praktika oder Gelegenheitsjobs, andere nutzen die Gelegenheit, um sich weiterzubilden. Einige melden sich in diesem Zeitraum arbeitslos, andere verzichten darauf. Einige Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger schleppen sich von Job zu Job, andere nehmen mehrere Jobs gleichzeitig an. Es handelt sich um eine besonders heikle Phase, denn die Jugendlichen möchten weder als Faulenzer gelten noch möchten sie die Kompetenzen verlernen, die sie in der Lehre erworben haben.

Wenn es dann so weit ist und sie ihre erste Stelle gefunden haben, läuft nicht immer alles so, wie sie es sich vielleicht vorgestellt haben. Nicht selten müssen sich Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger mit befristeten Verträgen, mit einem Teilzeitpensum oder einer Stelle ausserhalb der bevorzugten Branche zufriedengeben. Das sind typische Situationen bei der beruflichen Integration von jungen Menschen.